erfahrungen einer offenen beziehung

  • Spielraum

    Ich mag das Bild des Spielraums zwischen zwei Menschen. Unabhängig davon, in welcher Beziehung zwei Menschen zueinander stehen, gibt es in der Regel einen Spielraum. Es gibt Dinge, die mit der einen Person möglich sind, und Dinge, die mit einer anderen Person möglich sind. Mit der einen Person kann ich gut über das Leben philosophieren, mit der anderen ist es schön, gemeinsam Musik zu machen, und mit einer dritten passt es, zusammen Ferien zu verbringen. Dahinter steht eine neugierige, verspielte Haltung, den gemeinsamen Spielraum zu erkunden und herauszufinden, wo dessen Grenzen liegen. Der Spielraum ist dabei nichts Statisches, sondern, wie immer im Leben, dynamisch und veränderlich – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Freundschaften funktionieren in der Regel genauso: Man entdeckt, wo es passt, und lebt diese Bereiche gemeinsam aus. Den Rest lässt man weg. Romantische Beziehungen hingegen beginnen wir in der Regel nicht so, sondern mit einer Liste mehr oder weniger bewusster Erwartungen daran, wer das Gegenüber für uns sein soll. Diese Erwartungen sind oft überfrachtet. Das romantische Gegenüber soll alle möglichen Rollen erfüllen, damit die Beziehung „gut“ ist. Oder aber das Gegenteil passiert. Die sozialen Erwartungen erdrücken uns und wir fürchten uns deshalb davor, romantische Beziehungen einzugehen. Was ich versuchen möchte, ist, auch romantischen Beziehungen mit einer Spielraum-Haltung zu begegnen. Das erfordert viel Reflexion über die eigenen Bedürfnisse und Grenzen sowie Kommunikation. Das ist anstrengend. Aber bisher lohnt es sich.

  • Warum eine offene Beziehung? Teil 2, Game Changer

    Trennung. Meine eigene Wohnung. Unterschiedliche Städte. Nun konnte ich tun und lassen, was ich wollte und übte, eigenständig zu sein. Und wir merkten, dass unsere Zuneigung und Verbundenheit trotzdem bestehen blieben. Wir sahen uns immer noch regelmässig.

    Rückblickend beschrieb mir mein Partner, dass es für ihn entscheidend war, dass ich trotz unserer Trennung und meiner Verliebtheit immer noch seine Nähe suchte, und er spürte, wie wichtig er mir war.

    Für mich waren vor allem zwei Gespräche entscheidend, bei denen wir uns gegenseitig aufrichtig für den Schmerz entschuldigten, den wir einander im Trennungsprozess ungewollt und doch irgendwie unvermeidlich zugefügt haben. Am verletzendsten war für mich, dass er mir nicht glaubte und mir nicht vertraute in Bezug auf meine Ideen einer offenen Beziehung. Für ihn war das Schlimmste, dass ich ihm das Gefühl gab, nicht zu genügen. Ohne seine Anerkennung meines Schmerzes und seine Entschuldigung hätte ich ihm nicht wieder vertrauen können, dass sich dasselbe Drama in Zukunft nicht wiederholt. Umgekehrt erkannte ich in der Zwischenzeit die Zumutung, welche ich ihm auferlegte, anders sein zu sollen als er war. Das war der erste Game Changer für uns.

    Der zweite und finale Game Changer war die Kolumne „Die Sache mit der Verlustangst in Beziehungen“ von Jessica Sigerist im Magazin tsüri. Ich habe den Text geschickt bekommen und an ihn weitergeleitet. Und da war es auf einmal klar. Genau so!

    Wer nicht den ganzen Text lesen mag, hier ein Ausschnitt daraus.

    „(…) In meinem Beziehungsmodell, in dem die Grenzen zwischen Freundschaft und Liebesbeziehung verschwinden und verschiedene Beziehungen gleichzeitig existieren dürfen, dünkt mich (…) alles viel entspannter. Es gibt weniger «Entweder oder» und viel mehr «Sowohl als auch». Es gibt mega fest verknallt sein und trotzdem auch jede zweite Person an der queeren Party abknutschen wollen. Es gibt jahrelang gemeinsam durchs Leben gehen und trotzdem auch das Wochenende mit der neuen Flamme verbringen. Es gibt mir die Möglichkeit, Beziehungen so zu leben, wie es für mich und die daran Beteiligten gerade stimmt, ohne Beziehungen nach einer Checkliste in eine Kategorie einteilen zu müssen. Wir ficken zwar leidenschaftlich gerne, wollen aber unter keinen Umständen zusammen wohnen? Wunderbar. Wir sind beste Freund:innen und küssen uns gerne, haben aber keinen Sex? Geht klar! Wir sehen uns nur einmal im Jahr, weil wir weit auseinander wohnen, halten dazwischen nicht viel Kontakt, sind aber jedes Mal neu verliebt, wenn wir uns treffen? Relationship Goals, würde ich sagen! Ausserdem geben mir alternative Beziehungsformen die Möglichkeit, Beziehungen zu transformieren. Wenn man die Definition von Beziehung nicht so eng sieht, sieht man auch die Definition von Trennung nicht so eng. Dass bestimmte Aspekte einer Beziehung wegfallen oder sich verändern, heisst nicht, dass die ganze Beziehung beendet werden muss (…).“ Jessica Sigerist

  • Warum eine offene Beziehung? Teil 1, Trennung

    Wenn ich erzähle, dass ich in einer offenen Partnerschaft lebe, sagt das Gegenüber oft als Erstes „Das könnte ich nicht“.

    Wieso also ist es bei uns dazu gekommen? Weshalb „können“ wir das? 

    Der offenen Partnerschaft ging eine Trennung voraus. Das ist für unsere Geschichte sehr wichtig. Ich trennte mich, und zwar aus zwei Gründen.

    Der eine Grund betraf, obviously, die Monogamie und Romantik. Wie in anderen Beiträgen schon beschrieben, verliebte ich mich – und zwar gewaltig. In den 2 Jahren vor der Trennung versuchten mein Partner und ich, gemeinsam einen Weg zu finden, standen dabei aber an völlig unterschiedlichen Punkten. Die Verliebtheitserfahrung war dabei sehr prägend für mich, weil dieses Gefühl in unserer damaligen Partnerschaft absolut keinen Platz hatte. Mir ging es nicht nur darum, mit anderen Menschen schlafen zu können, sondern auch darum, frei zu sein in Bezug auf meine Gefühle, meine Sexualität, und wie ich diese gestalten möchte.

    Der andere Grund, der genau so entscheidend war, betraf meine damalige unhinterfragte, selbstverständliche Erwartung an eine Partnerschaft, dass es gemeinsame Projekte braucht. Mein Bedürfnis war es, gemeinsam coole Projekte zu reissen. Ich hatte viele Ideen über viele Jahre hinweg, und stiess mit diesen nie auf Begeisterung bei ihm. Bis zu dem Punkt, als mir dämmerte, dass er dieses Bedürfnis schlicht nicht hat, und ich die Perspektive für unser Leben komplett verlor. Denn für mich gab es (abgesehen von der Arbeit und gewissen Hobbys) nur das gemeinsame Leben. Ich war hochgradig symbiotisch und kaum eigenständig als Persönlichkeit. Doch ohne gemeinsame Perspektive konnte ich mir ein gemeinsames Leben nicht mehr vorstellen.

    Es war ein unendlich qualvoller Prozess. Ich trennte mich erst, als ich am absoluten Ende meiner Kräfte war. Eine Selbstrettung.

  • Zurück auf Feld 1

    Seit diesem Jahr hat mein Partner eine feste Freundin. Und nach wie vor gibt es alltägliche Situationen, in denen ich emotional überfordert bin, wenn auch mittlerweile meistens nur kurz, für ein paar Minuten. Ein Beispiel aus aktuellem Anlass: Mein Partner hat mir eröffnet, dass er bald ein verlängertes Wochenende mit ihr verbringen wird. Meine ersten Gedanken:

    1) Dann bin ich an diesem Wochenende ja allein! (was nicht wahr ist, denn ich kann mir sehr wohl etwas organisieren)

    2) Wieso planst du nur mit ihr verlängerte Wochenenden und besondere Unternehmungen und nicht mit mir? (was auch höchstens halb wahr ist).

    Ich war verletzt und wütend. Und gleichzeitig war ich selbst etwas verblüfft über meine Reaktion. Seit fünf Jahren beschäftige ich mich nun mit offenen Beziehungen. Ich bin mir mehr als sicher, dass diese Beziehungsform für uns die passende ist. Ich weiss, weshalb. Und doch fühle ich mich in solchen Momenten emotional wieder auf Feld 1 zurückgeworfen. Die erlernten alten emotionalen Muster schnappen wieder zu. Die Furcht, zu kurz zu kommen, wenn es da noch jemand anderen im Leben meines Partners gibt. Diese Furcht dann zu reflektieren und zu merken, sie ist unbegründet. Ich komme nicht zu kurz. Mein Partner vermittelt mir dieses Gefühl in keinster Weise. Schön ist es trotzdem, dass er gleich nach meinem emotionalen Ausbruch anbietet, im selben Monat auch ein verlängertes besonderes Wochenende zusammen zu verbringen.

  • What if…

    «Just imagine if choosing your life partner meant you got to have another first kiss, another affair, maybe fall in love totally again? What if you married someone to walk beside their ever-evolving journey, not to rope them into a role to make you the end-all forever?»

    Kiran Trace, in monogamish.

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